III. Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
47 Art. 190 Abs. 2 SchKG
Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung
Im Fall einer Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung ist
zwingend eine mündliche Konkursverhandlung durchzuführen.
Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 15. August
2018, in Sachen Kanton Aargau gegen S.R. AG (ZSU.2018.116).
2.4.
2.4.1.
Die ZPO sieht in Art. 251 lit. a ZPO für Entscheide, die vom
Konkursgericht getroffen werden, das summarische Verfahren
(Art. 252 ff. ZPO) vor. Art. 256 Abs. 1 ZPO hält fest, dass das
Gericht auf die Durchführung einer Verhandlung verzichten und
aufgrund der Akten entscheiden kann, sofern das Gesetz nichts
anderes bestimmt.
2.4.2.
Der Schuldner wird, wenn er in der Schweiz wohnt in der
Schweiz einen Vertreter hat, mit Ansetzung einer kurzen Frist vor
Gericht geladen und einvernommen (Art. 190 Abs. 2 SchKG).
2.4.3.
Soweit ersichtlich hat sich das Bundesgericht zur Frage, ob das
Verfahren gemäss Art. 190 Abs. 2 SchKG schriftlich - zwingend
- mündlich durchzuführen ist, bisher nicht geäussert bzw. diese Frage
offen gelassen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5P.169/2003 vom
6. Juni 2003 E. 2.3.4). Vor Inkrafttreten der Schweizerischen Zivil-
prozessordnung war diese Frage in der kantonalen Rechtsprechung
unterschiedlich beantwortet worden (vgl. Brunner/Boller, in:
Staehelin/Bauer/Staehelin, Basler Kommentar, Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs II, 2. Aufl. 2010, Art. 190 N. 27 mit
Hinweisen auf Urteil des Einzelrichters am Kantonsgericht
St. Gallen vom 26. Juni 2003, SGGVP 2003, Nr. 92 S. 257 ff., und
Urteil des Obergerichts Thurgau vom 13. August 2001, RBOG 2001
Nr. 22 S. 149).
2.4.4.
Die Lehre äussert sich auch uneinheitlich und ist geteilter An-
sicht. Ein Teil der Lehre erachtet unter Verweis auf die Formulierung
von Abs. 2 vor Gericht geladen ein schriftliches Verfahren für
unzulässig (Talbot, in: Kren Kostkiewicz/Vock, Kommentar zum
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs SchKG, 4. Aufl.
2017, Art. 190 N. 20). Ein anderer Teil der Lehre hält - teilweise un-
ter Rückgriff auf die Schweizerische Zivilprozessordnung - dafür,
Art. 190 Abs. 2 SchKG sei nicht verletzt, wenn das Konkursgericht
dem Schuldner Frist zur schriftlichen Stellungnahme ansetze, anstatt
zu einer mündlichen Verhandlung vorzuladen (Huber, in: Hunkeler,
Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz, Kurzkommentar, 2. Aufl.
2014, Art. 190 N. 20; Brunner/Boller, a.a.O., Art. 190 N. 27). An
anderer Stelle wird in der Literatur ausgeführt, die Auffassung, dass
Art. 190 Abs. 2 SchKG nicht verletzt sei, wenn das Konkursgericht
dem Schuldner Frist zur schriftlichen Stellungnahme ansetze, anstatt
eine mündliche Verhandlung anzuberaumen (vgl. Urteil des Oberge-
richts Thurgau vom 13. August 2001, RBOG 2001 Nr. 22 S. 149), sei
fraglich (Levante, Aktuelles aus der Rechtsprechung zum Schuldbe-
treibungs- und Konkursrecht, in: AJP 2015 S. 579 ff., S. 585 f.).
2.4.5.
Der Wortlaut von Art. 190 Abs. 2 SchKG ( vor Gericht geladen
und einvernommen ) spricht für die Durchführung einer Konkursver-
handlung und damit für ein mündliches Verfahren.
2.4.6.
Wenn auch Art. 194 Abs. 1 SchKG nicht auf Art. 168 SchKG
verweist und die Bestimmung von Art. 168 SchKG daher auf die
Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung keine Anwendung
findet, wird auch bei der Konkurseröffnung ohne vorgängige Betrei-
bung - wie dargelegt - der Schuldner mit Ansetzung einer kurzen
Frist vor Gericht geladen und einvernommen (Art. 190 Abs. 2
SchKG). Es darf daher - unter gesetzessystematischen und teleolo-
gischen Gesichtspunkten - die Regelung von Art. 168 SchKG ver-
gleichsweise Berücksichtigung finden. Im Rahmen der ordentlichen
Konkursbetreibung steht - soweit ersichtlich und wohl abgesehen
von offensichtlich unzulässigen unbegründeten Begehren (vgl.
Talbot, a.a.O., Art. 168 N. 2 mit Hinweisen und Art. 190 N. 20; a.M.
Nordmann in: Staehelin/Bauer/Staehelin, Basler Kommentar, Bun-
desgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs II, 2. Aufl. 2010,
Art. 168 N. 5) - im Zusammenhang mit Art. 168 SchKG ausser
Frage, dass es sich bei der Vorladung um ein Formalerfordernis der
Konkurseröffnung handelt, womit der Richter verpflichtet ist, zu
einer Verhandlung zu laden (Staehelin, in: Bauer/Staehelin, Basler
Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Er-
gänzungsband zur 2. Auflage, 2017, Art. 171 ad N. 3 mit Hinweis auf
das Urteil des Bundesgerichts 5A_403/2014 vom 19. August 2014
E. 4.1). Deshalb kann eine Partei, die - wie hier - nicht (bzw. nicht
rechtzeitig) vorgeladen worden ist, die Aufhebung des Konkurs-
dekrets auf dem Rechtsmittelweg bei der oberen Instanz verlangen,
ausgenommen den Fall vorbehaltloser Einlassung (vgl. Nordmann,
a.a.O., Art. 168 N. 15 mit Hinweisen).
Kein Zweifel besteht ferner über das von der EMRK garantierte
Recht des Schuldners, sich an der Konkursverhandlung mündlich zu
äussern, gerade bei unübersichtlichen Verhältnissen (EGMR-Urteil
48962/99 vom 5. Juli 2005, Exel gegen Tschechische Republik, Rz.
57; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 5D_181/2011 vom 11. April
2012 E. 3.1.2), wie sie sich häufig bei Konkursbegehren ohne vor-
gängige Betreibung (Art. 190 Abs. 1 SchKG) präsentieren (Levante,
a.a.O., S. 585 f.). Somit spricht auch dieser Aspekt für ein münd-
liches Verfahren.
Alsdann erscheint es aus gesetzessystematischen Überlegungen
als problematisch, die Frage, ob das Verfahren gemäss Art. 190
Abs. 2 SchKG schriftlich mündlich durchzuführen ist, unter
Rückgriff auf die Regelung von Art. 256 Abs. 1 ZPO lösen zu wollen
und davon auszugehen, es könne in Anwendung von Art. 256 Abs. 1
ZPO auf die Durchführung einer mündlichen Konkursverhandlung
verzichtet und aufgrund der Akten in einem schriftlichen Verfahren
entschieden werden. Wie in der Lehre zu Recht betont wird (vgl. u.a.
Vock/Meister-Müller, SchKG-Klagen nach der Schweizerischen
ZPO, 2. Aufl. 2018, S. 243; Giroud, in: Staehelin/Bauer/Staehelin,
Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Kon-
kurs II, 2. Aufl. 2010, Art. 171 N. 3), handelt es sich bei Art. 168
SchKG um eine lex specialis, die den allgemeinen Be-stimmungen
der ZPO vorgeht (Staehelin, a.a.O., Art. 171 ad N. 3 mit Hinweis auf
das Urteil des Bundesgerichts 5A_403/2014 vom 19. August 2014 E.
4.1). Ein sachlicher Grund, weshalb die Eigenschaft als lex specialis
bei Art. 190 Abs. 2 SchKG abweichend von der Regelung von
Art. 168 SchKG behandelt werden soll, ist nicht ersichtlich. Wie
Walther zutreffend bemerkt, muss auch unter der neuen ZPO das
summarische Verfahren weiterhin Raum für SchKG-spezifische
Singularitäten lassen, zumal anlässlich des Gesetzgebungsprozesses
dem Verhältnis von ZPO und SchKG keinerlei Aufmerksamkeit ge-
widmet worden ist (vgl. SZZP 2014, 543 ff. mit Note Walther und
vgl. ZBJV 152/2016 S. 450).
Mit der hier für Art. 190 Abs. 2 SchKG befürworteten
Durchführung einer mündlichen Konkursverhandlung wird schliess-
lich auch am ehesten der Tatsache Rechnung getragen, dass es sich
beim Verfahren der Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung
um einen schwer wiegenden Eingriff in die Rechte des Schuldners
handelt. Kommt hinzu, dass der Schuldner - im Unterschied zur Kon-
kurseröffnung in der ordentlichen Konkursbetreibung mit der Zu-
stellung des Zahlungsbefehls und der Konkursandrohung - vom
Gläubiger vorgängig betreibungsrechtlich nicht belangt wurde. Da-
her erscheint es als umso wichtiger, dass der Schuldner dem Richter
vor einem für ihn folgenschweren Entscheid seine Argumente in
einer mündlichen Verhandlung vortragen kann (vgl. SGGVP 2003,
Nr. 92 S. 258 f.).
2.4.7.
Indem die Vorinstanz ihren Entscheid lediglich aufgrund der
schriftlichen Eingaben der Parteien und ohne Konkursverhandlung
gefällt hat, hat sie -analog zur Konstellation des ordentlichen Verfah-
rens auf Konkursbetreibung (vgl. Art. 166 ff. SchKG) - den An-
spruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. Nordmann,
a.a.O., Art. 168 N. 15 mit Hinweisen; Talbot, a.a.O., Art. 168 N. 9;
vgl. auch BGE 138 III 225 E. 3.3 S. 230; Staehelin, a.a.O., Art. 168
ad N. 15), denn diese wurde - wie gezeigt - von der Vorinstanz nicht
zu einer Konkursverhandlung vorgeladen und konnte sich ent-
sprechend vor Erlass des Entscheids auch nicht im Rahmen einer
Konkursverhandlung mündlich zur Sache äussern.
2.5.
Die Berufung der Beklagten vor der Beschwerdeinstanz auf die
fehlende Durchführung einer Konkursverhandlung bzw. auf eine Ver-
letzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör erweist sich nicht als
rechtsmissbräuchlich treuwidrig (Art. 52 ZPO). Aufgrund der
Erläuterungen der Vor-instanz in der Bestätigung des Klageeingangs
und Informationen zum Verfahren und des Wortlauts ihrer Verfü-
gung vom 24. November 2017, mit welcher sie der Beklagten das
Gesuch um Konkurseröffnung zur Erstattung einer Stellungnahme
innert zehn Tagen zustellte mit dem Hinweis, dass der Endentscheid
getroffen werde, wenn die Stellungnahme innert der angesetzten
Frist , musste die Beklagte, die am 4. Januar 2018 zum Ge-
such um Konkurseröffnung schriftlich Stellung nahm, nämlich nicht
damit rechnen, dass nach Erstattung ihrer schriftlichen Stellung-
nahme sogleich der Endentscheid getroffen werde. Vielmehr durfte
sie aufgrund der Belehrung in der Bestätigung des Klageeingangs
und Informationen zum Verfahren darauf vertrauen, dass sie zu
einer Konkursverhandlung vorgeladen werden würde. Dies gilt umso
mehr, als die Belehrung vorbehaltlos formuliert ist und keine
Ausnahmen nennt, sondern weiter festhält, dass den Parteien das Er-
scheinen freigestellt sei und auch in ihrer Abwesenheit entschieden
werde (vgl. Art. 194 Abs. 1 i.V.m. Art. 168 und Art. 171 SchKG).
Unter diesen Vorzeichen kann aufgrund der konkreten Umstände für
das vorinstanzliche Verfahren auch kein impliziter stillschwei-
gender Verzicht der Beklagten auf die Durchführung einer Konkurs-
verhandlung angenommen werden.
2.6.
Die von der Vorinstanz mit der unterlassenen Konkursverhand-
lung begangene Gehörsverletzung kann aufgrund der eingeschränk-
ten Kognition der Beschwerdeinstanz (Art. 320 ZPO) und des
teilweisen Novenverbots (Art. 326 ZPO i.V.m. Art. 194 Abs. 1 und
Art. 174 Abs. 1 und Abs. 2 SchKG) im Beschwerdeverfahren nicht
geheilt werden (vgl. Nordmann, a.a.O., Art. 168 N. 15 mit Hinwei-
sen; Talbot, a.a.O., Art. 168 N. 9; vgl. auch BGE 138 III 225 E. 3.3
S. 230; Staehelin, a.a.O., Art. 168 ad N. 15). Die Beschwerde ist
demnach gutzuheissen, der Entscheid der Vorinstanz aufzuheben und
die Streitsache gestützt auf Art. 327 Abs. 3 lit. a ZPO zum neuen Ent-
scheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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